Die Aussicht auf das Ende der Arbeit läßt auf das Paradies hoffen - und an Adam und Eva denken, die sich verführen ließen, sie von der Schlange, er von seinem Weibe, mit der göttlichen Ordnung zu brechen, und dafür bezahlen mußten. Adam auf seine, Eva auf ihre Weise, beide zusammen mit dem Ausstoß aus der paradiesischen Gesellschaft in eine, die von ihnen Arbeit verlangte, Schweiß treibende, mühselige Arbeit, die eine Plage ist, ein Fluch. So eindeutig die Worte, so bitter die Erfahrungen, die die Menschen mit ihrer Arbeit gemacht haben, so zweideutig ist doch der Fluch, der sich mit der Arbeit verbindet. Lastet er auf ihr? Oder ist sie der Fluch?.
Ob Fluch oder kein Fluch: Arbeit ist in keinem Fall ein reines Vergnügen, stets auch ein Leidwesen und ein höchst schmerzliches Leidwesen, wenn sie Ackerbau, Straßenbau, Kanalisierungsarbeit oder sonst eine Erde bewegende Tätigkeit ist, die ohne Mittel der Arbeitserleichterung zu bewältigen ist. Die Beschwerlichkeiten der Arbeit, die Gefahren auch für Leib und Leben, sind Grund genug, sich die Arbeit vom Leibe zu halten: glühende Kohle nicht in die Hand, sondern auf die Schaufel zu nehmen, den Acker umzupflügen statt ihnen mit bloßen Händen umzugraben, Kanalisierungsarbeiten mit Hilfe eines Baggers zu erledigen, Flüsse mit Booten zu überqueren, statt sie zu durchschwimmen. Verflucht die Arbeit, die es den Arbeitern nicht erlaubt, sie sich vom Leibe zu halten, um sie in einer Weise wahrzunehmen, in der sie weniger bedrohlich, weniger lästig, weniger qualvoll ist, in der sie leichter von der Hand geht.
So oder so: Die Arbeit ist ein Leidwesen, ein Leidwesen aber, für das der Mensch ein Empfinden hat, daher auch eine Leidenschaft. „Die Leidenschaft, die Passion ist die nach seinem Gegenstand energisch strebende Wesenskraft des Menschen" (Marx: MEW EB. 1.Teil, S.579). Was ihn an der Wirklichkeit leiden läßt, regt ihn nicht nur auf, es regt ihn auch an - zu Vorstellungen von einer Wirklichkeit, die mit weniger Leiden verbunden ist. Sinnvoller Weise zu solchen Vorstellungen, mit denen der Mensch nicht den Boden unter den Füßen verliert, ihm die Wirklichkeit nicht aus der Hand gleitet, ihm Hören und Sehen vergeht, er also nicht mehr am Wesen der Natur teil hat. Ein solches Wesen, ein „Wesen, welches seine Natur nicht außer sich hat", das „nicht selbst Gegenstand für ein drittes Wesen ist", ist ein Unwesen (S.578). Der Mensch aber ist kein Unwesen.
„Der Mensch ist unmittelbar Naturwesen"! Daß er das ist, „daß er „ein leibliches, naturkräftiges, lebendiges, wirkliches, sinnliches, gegenständliches Wesen ist, heißt, daß er wirkliche, sinnliche Gegenstände zum Gegenstand seines Wesens, seiner Lebensäußerung hat oder daß er nur an wirklichen, sinnlichen Gegenständen sein Leben äußern kann (ebd.) - und nicht lediglich im Umgang mit Informationen über sie. Er muß daher wie Katz und Maus oder sonst ein Tier die „seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand" in Bewegung setzen, „um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen". Wie jedes andere tierische Wesen tritt der Mensch „dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber", die ihre Macht nur behaupten kann, indem sie mit der Veränderung des Anderen auch sich selbst verändert - und „die in ihr schlummernden Potenzen" zum Zweck ihrer Selbsterhaltung entwickelt (Marx: Kapital I, S.192).
Potenzen, die schlummern und zum Zweck der Selbsterhaltung zu entwickeln sind, finden sich auch in der Katze und der Maus. Sie entwickeln sie. Musterhaft. Ihrer Art entsprechend. Sie haben keine Wahl. Das Programm steht fest. Ein Irrtum ist tödlich. Die Maus, die sich eine Katze zu schnappen versucht, ist keine Maus. Anders der Mensch. Im Unterschied zu allen tierischen Operationen, denen der Katze und der Maus, der Spinne, deren Operationen „denen des Webers ähneln", einer Biene, die „durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister" beschämt, liegen von Menschen hervorgerufene Operationen Vorstellungen zu Grunde: Reflexionen und nicht nur Reflexe. (Kapital I, S.193). Das kann nicht heißen, auch wenn Marx dafür spricht, daß den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut (Kapital I, S.193), sondern nur, daß der menschliche Baumeister anders als die Biene auch mit dem Kopf bei der Arbeit ist: ohne fertiges Wissen von dem, was werden soll, doch geistig in der Lage, sich das vor der Arbeit fehlende Wissen im Prozeß der Arbeit zu besorgen.
Seiner Natur nach frei von jeder bestimmten Lebensart, kann der Mensch und muß er seine Freiheit nutzen - und sich eine ihm brauchbar erscheinende Natur erfinden. Er hat die Qual der Wahl. Irren ist menschlich. Vorausgesetzt, es geschieht mit System. Der Mensch, der wie ein Vogel zu fliegen trachtet, wie ein Fisch in die Tiefe des Meeres zu tauchen versucht, schlägt nicht aus der Art. Im Gegenteil: Seine Art ist es, aus der Art zu schlagen. In Marx’ Worten: „Das Tier ist unmittelbar eins mit seiner Lebenstätigkeit. Es unterscheidet sich nicht von ihr. Es ist sie. Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins. Er hat bewußte Lebenstätigkeit. ... Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens, d.h. eines Wesens, das sich zu der Gattung als seinem eignen Wesen oder zu sich als Gattungswesen verhält. Zwar produziert auch das Tier. ... Allein es produziert ... einseitig, während der Mensch universell produziert; ... der Mensch formiert daher auch nach den Gesetzen der Schönheit" (MEW EB 1.Teil, S.516f.).
Eher als ein Fluch ist die Arbeit also ein Segen: die Chance des Menschen, sich aus der unmenschlichen Verstrickung in die natürliche Natur zu lösen und sich ihr gegenüber, wenn auch nicht ohne ihre bleibende Mitwirkung, seine Natur zu schaffen. Sichert er mit seiner Arbeit seine „Existenzgrundlagen", so versichert er sich dieser Grundlagen grundsätzlich auf einem höheren Niveau: mit wachsender Erfahrung, differenzierter, produktiver, reicher. Und natürlich: nie allein, nur im Verein; im Zuge der Vereinbarung der eigenen Wahrnehmung mit der Wahrnehmung anderer Individuen, die um so produktiver ist, desto größer die erfolgreich vereinbarten Differenzen sind. „In Gesellschaft produzierende Individuen - daher gesellschaftlich bestimmte Produktion der Individuen ist natürlich der Ausgangspunkt" (Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1953, S.6). Was daraus wird, ist eine andere Frage.
Der Mensch kämpft, wenn er wie ein Mensch kämpft, nicht nur den „Kampf ums Dasein", sondern auch den Kampf gegen diesen Kampf. Statt einseitig und instinktiv auf die unmittelbar sich anbietende Form der Existenzerhaltung zu setzen, setzt er sich, „gutwillig", wie er von Natur aus ist, von dieser auch ab, um im Unmittelbaren auch auf dessen Vermittlung zu reflektieren. Von ihr aber, von der Vermittlung als Vermittlung, wollten schon Adam und Eva nichts wissen. Sie wollten sie beherrschen. „Darauf folgte die gerechte Verdammnis" (Augustinus: Vom Gottesstaat. Buch 11-22. München 1978, S.187). Der in der Arbeit liegende Segen mußte ihnen zum Fluch werden.
Fluch und Verdammnis sind nicht als Strafe Gottes zu verstehen ist, sondern als Schicksal, das die Menschen sich durch ihren Hochmut selber zuziehen: „statt der begehrten Freiheit harte und jämmerliche Knechtschaft" (ebd.), zu der nicht nur die Sklaverei der Arbeit gehört, sondern auch die sklavische Abhängigkeit von sexuellen und anderen Leidenschaften, die dadurch nicht besser wird, daß man sie beherrscht, „dergleichen Aufwallungen zu mäßigen und zu beschwichtigen" versteht. Sind doch die, die ihre Affekte beherrschen, „von gottlosem Hochmut dermaßen aufgeblasen, daß mit abnehmender Bedrängnis das Verhängnis nur um so schlimmer wird". Und am schlimmsten ist es bei denen, die sich rühmen, „daß sie überhaupt von keiner Gemütsbewegung weder angeregt und gehoben noch gebeugt und niedergedrückt würden", haben sie so doch „mehr ihre ganze Menschlichkeit verloren als wahre Ruhe erlangt. Denn was hart ist, ist darum nicht recht, und was stumpf, nicht gesund" (S.177). Gesund ist nur das Begehren und das gilt auch für das sexuelle Begehren, dessen man sich dann auch nicht zu schämen hat, wenn es sich seiner wohl bewußt ist, mit Weisheit gepaart sich verwirklicht - und nicht, wenn es beherrscht wird oder gar ausgemerzt ist. Doch diese Möglichkeit haben Adam und Eva verspielt: die Möglichkeit auch einer Arbeitsteilung von Mann und Frau, die frei von Gewalt ist und auf eine Assoziation zielt, in der „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Marx: MEW Bd.4, S.482).
Mann und Frau sind gezwungen, sich durchzuschlagen: vom Sturm getrieben, der vom Paradies her ihnen ins Gesicht weht und sie unaufhaltsam in die Zukunft treibt, der sie den Rücken zugekehrt haben, wie sich es Walter Benjamin hat sagen lassen - von einem Bild Paul Klees. Es heißt Angelus Novus. .„Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm" (I.2, S.697f.).